„Personen, die Türkisch oder Arabisch sprechen, weisen im Allgemeinen eine stärkere antisemitische Einstellung auf als der Durchschnitt der Österreicher“, bestätigte kürzlich Europaministerin Karoline Edtstadler (ÖVP) gegenüber der „Welt“. Speziell bei 16- bis 25-Jährigen steige zurzeit der Antisemitismus. Auch physische Attacken auf Juden nehmen zu.

Dass speziell bei arabischstämmigen Jugendlichen das Radikalisierungspotenzial erheblich ist, hat kürzlich die Studie „Lagebild Extremismus und Migration“ bestätigt. Sie war von Bundeskanzleramt und Innenministerium in Auftrag gegeben worden. Herkunft spielt ihr zufolge eine Rolle. Das Radikalisierungspotenzial ist je nach Migranten-Community unterschiedlich hoch, wie vier Forscher unter der Leitung des deutschen Politikwissenschaftlers Peter Neumann ermittelt haben.

Araber in Österreich: Explosiver Mix aus Islamismus, fehlender Bildung und Arbeitslosigkeit

Was die Situation in der arabischen Community so explosiv macht: Sie hat sich „in den letzten Jahren dramatisch verändert“, wie die Studienautoren unterstreichen. „Durch die Ankunft von knapp 70.000 Flüchtlingen aus Syrien und dem Irak hat sich die Community auf einen Schlag verdreifacht. Sie ist heute deutlich jünger, männlicher und syrischer als noch vor zehn Jahren.“

Mit der Flüchtlingswelle ist die Zahl der Syrer explosionsartig angestiegen.

Problematisch ist vor allem die Rolle der Muslimbruderschaft, unterstreicht die Studie, an der neben Terror-Experte Nicolas Stockhammer, auch der Historiker Heiko Heinisch und die Politologin Nina Scholz mitgearbeitet haben. Die Muslimbrüder sind hierzulande bereits seit Jahrzehnten aktiv. Sie versuche gezielt, „Muslime von der Gesellschaft zu entfremden und parallelgesellschaftliche Strukturen aufzubauen, die ein Leben nach islamistischen Regeln abseits der nicht-muslimischen Bevölkerung ermöglichen.“ Dieser Extremismus habe sich mit den Flüchtlingen noch stärker etabliert. „Das generelle Klima innerhalb der Community hat sich verschärft“. Deshalb häuften sich auch „physische Angriffe, zum Beispiel auf die jüdische Gemeinde“.

Alles in allem ist es ein explosiver Mix fehlender Integration am Bildungs- und Arbeitsmarkt, samt „problematischen Prägungen aus den Herkunftsländern“ und einem „Netzwerk aktivistischer Extremisten aus dem Umfeld der Muslimbruderschaft“.

Türkischer Nationalismus mischt sich zuweilen mit politischem Islam

Als vergleichsweise „moderat“ beurteilt die Untersuchung das Radikalisierungspotenziel in der türkischen Community, die es in Österreich schon am längsten gibt. „Viele begreifen sich als Österreicher und sind gleichzeitig stolz auf ihre türkische Herkunft.“ Ein türkeistämmiger Jugendarbeiter meint: „Es gibt hier Kinder und Familien und Erwachsene, die stehen zum Islam. Die stehen zu Österreich. Die stehen zur Türkei.“

Erdogan-Anhänger feiern in Wien den Sieg des türkischen Präsidenten. Das gefiel anderen Türken gar nicht.

Auf gewalttätige Extremisten und Dschihadisten stoße man weniger, allerdings eine problematische Schnittstelle zwischen Islamismus und Nationalismus. Hier richte sich gewalt bisher „vor allem gegen ‚Feinde‘ innerhalb der eigenen Community.“ Das größte Risiko sei aktuell, „dass sich islamistisch-nationalistische und kurdische Gruppen gegenseitig ‚hochschaukeln‘.

Problematisch seien vor allem zwei türkische Organisationen:  die islamistische Gruppe „Milli Görüş“ und die ultra-nationalistischen „Ülkücü-Bewegung“, besser bekannt als „Graue Wölfe“.

Klein und radikal: Tschetschenische Community am problematischsten

Weder die türkische, noch die arabische Community ist aber am problematischsten, wie die Studie unterstreicht. Am höchsten ist die Gefahr von noch mehr Extremismus bei Tschetschenen. „Die Migrations-Community aus dem Nordkaukasus ist vergleichsweise klein, aber gilt in Österreich als hochproblematisch.“ Erwähnt werden „Sittenwächter“, die Kontrolle über das Verhalten junger tschetschenischer Frauen ausüben. Viele tschetschenische Dschihad-Kämpfer zogen überdies in den Krieg für den „Islamischen Staat“.

„Tatsache ist: Die tschetschenische Community ist schlecht integriert, und es existiert nach wie vor ein veritables Radikalisierungspotential“. Viel brächten patriarchale und gewaltaffinen Prägungen aus ihrer Heimat mit.

Intergration der ex-jugoslawischen Community ein „Erfolg“

Die Integration der ex-jugoslawischen Community ist den Studienautoren zufolge aber im Großen und Ganzen gelungen. Die „Nachfrage“ nach Extremismus sei hier „relativ gering“: „Die Integration der Communitys vom Westbalkan in Österreich ist eine Erfolgsgeschichte“, heißt es in der Studie. „Sowohl Albaner als auch Bosnier haben im Laufe der letzten Jahrzehnte Österreich zu ihrer neuen Heimat gemacht und sind dadurch ein Stück weit Österreicher geworden.“

Einer der Gründe: Menschen vom Westbalkan identifizierten sich bereits als Europäer, bevor sie nach Österreich kamen. Historischen Verbindungen zu Österreich, zum liberal geprägten bosnischen Islam und zum albanischen Nationalismus seien „Schutzschilder“ gegen religiös inspirierten Extremismus. „Extremistische Akteure und Ideen sind zwar präsent, werden aber von der Community meist ausgeschlossen, wenn nicht sogar aktiv bekämpft.“

Freilich: Letztlich kann sich jeder radikalisieren. Ausgerechnet der Terror-Anschlag vom November 2020 in Österreich wurde vom 20-jährigen Kujtim Fejzulai verübt, dessen Eltern aus Nordmazedonien eingereist sind und der Volksgruppe der Albaner angehören…